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Wer bist du - was sind deine Wurzeln: Welche Kulturen & Nationalitäten sind in dir vereint und haben dich von Kindesbeinen an begleitet und geprägt
Mein Name ist Sofie Elfriede Catherina. Ich wurde nach meinen beiden Omas benannt, wobei ich meinen zweiten und dritten Vornamen eigentlich nie erwähne. Ich bin aufgewachsen als Tochter eines deutschen Vaters und einer holländischen Mutter. Mein Vater kam aus der ehemaligen DDR, aus einem kleinen Ort nähe Neu Brandenburg. Er war Grenzsoldat und ist mit 19 Jahren aus der DDR geflüchtet, indem er über die Elbe geschwommen ist, was ihn beinahe das Leben gekostet hätte.
Meine Mutter ist im Rotterdamer Stadtteil Kralingen aufgewachsen, in dem eher die oberen Zehntausend von Rotterdam leben. Mein Vater ist nach seiner Flucht über Umwege in Rotterdam gelandet, wo er dann in einer Diskothek meine Mutter kennengelernt hat. Die beiden haben einige Jahre zusammen in Rotterdam gelebt und auch dort geheiratet, bis es meinen Vater dann beruflich zurück nach Deutschland, ins beschauliche Münster in Hessen verschlagen hat. Dort - bzw. im Krankenhaus des Nachbarstädtchens Dieburg bin ich dann 1977 geboren und 1983 dann auch meine kleine Schwester.
Wie war es für dich, mit mehreren kulturellen Einflüssen und Werten aufzuwachsen
Die ersten Jahre bin ich sehr holländisch aufgewachsen, wir waren viel in Holland bei meinen Großeltern. Meine Eltern haben zu Hause auch holländisch gesprochen. Ich bin demnach zweisprachig aufgewachsen und habe von Anfang an die Werte meiner Großeltern beigebracht bekommen. Meine Großeltern waren sehr edle Menschen, finanziell gut gestellt, lebten teilweise mit Personal in einer alten Stadtvilla in Rotterdam Kralingen. Ab einem gewissen Alter musste ich meine Oma siezen, und meine Mutter siezte ihre Eltern auch. Ich habe früh gelernt, wie man sich am Tisch richtig verhält und wie man sich anständig benimmt. Ich habe das aber nicht nur als negativ in Erinnerung. Denn trotz allem waren meine Großeltern sehr herzlich und liebevoll. Ich habe sehr schöne Erinnerungen an meine Kindheit in Rotterdam.
Meine Familie väterlicherseits habe ich erst kennengelernt, als ich schon Schulkind war. Als meine Oma aus Neu Brandenburg die DDR verlassen durfte und uns besucht hat. Ehrlicherweise war das ein ziemlicher Kulturschock damals. Die Familie meines Vaters kam aus sehr einfachen, fast ärmlichen Verhältnissen der DDR. Meine Oma war sehr übergewichtig, im Vergleich zu meiner Oma in Rotterdam, die eher einer Dame glich, wirkte sie sehr einfach gestrickt. Als ich mit dreizehn Jahren das erste Mal selbst in Neu Brandenburg war, wurden mir die kulturellen Unterschiede meiner Eltern noch stärker bewusst. Ich habe zu der Familie meines Vaters nie eine enge Beziehung aufbauen können und habe auch heute zu niemandem mehr Kontakt.
Was waren und sind die größten kulturellen Einflüsse in deinem Leben
Wie oben beschrieben kamen meine Eltern aus völlig verschiedenen Welten. Die Herkunft meines Vaters und die traumatischen Erlebnisse haben ihn so sehr geprägt, dass er Alkoholiker wurde. Durch seine Sucht und der damit verbundenen Arbeitslosigkeit lebten wir in Deutschland lange am Rande des Existenzminimums. Bei den Besuchen in Holland erlebte ich immer das genaue Gegenteil. Das war schon seltsam, wenn ich in Holland - sehr überspitzt ausgedrückt - das feine Mädchen war, und in Deutschland die, wie man es heute nennen würde, Harz 4 Familie. Meine Großeltern haben meine Eltern finanziell nicht unterstützt. Nur wenn wir in Holland waren. Erst als mein Vater die Familie über Nacht verlassen hat und fünf Jahre spurlos verschwunden war (ich war damals 14 Jahre alt), hat meine Oma (mein Opa war da schon tot) eingegriffen und meiner Mutter geholfen.
Worin besteht der größte Unterschied der Kulturen - Wertesystemen, in denen du aufgewachsen bist
Schwer zu erklären, da beide Kulturen in allem unterschiedlich waren. Mein holländischer Familienzweig war herzlich und liebevoll, aber auch sehr auf diese alten Werte bedacht, dabei dennoch sehr weltoffen. Sie sind auch sehr international, ich habe auf der ganzen Welt Verwandtschaft, deren Ursprung in Holland liegt. In meiner deutschen Familie ging es mehr ums Überleben, da war wenig Herzenswärme, da hat man nicht so weit gedacht und nicht über den Tellerrand geschaut. Das waren Menschen, die vor allem körperlich gearbeitet haben, Schweinezüchter vom Dorf, in dem es nicht mal asphaltierte Straßen gab. Obwohl mein Vater ein sehr intelligenter Mann mit einer sehr guten Allgemeinbildung war.
Automatisch empfinde ich aufgrund dieser Erfahrungen die Holländer als fröhlicher, bunter, unkomplizierter und offener als die Deutschen. Und obwohl ich die deutsche Staatsangehörig keit habe und sicherlich auch ein paar typisch deutsche Züge in mir trage, fühle ich mich eher holländisch. Ein gutes Beispiel ist, dass ich bei den Fußball-Weltmeisterschaften niemals für Deutschland sein würde, mein Favorit ist immer Holland.
Wie kannst du diese Gegenpole in dir dennoch vereinen / mit ihnen leben
Heute lebe ich gut damit, bin auch irgendwie stolz darauf. Es macht mich zu einem offenen, bunten, sozialen und empathischen Menschen. Als Teenager war es schwierig. Ich war immer irgendwie anders und hab mich nie irgendwo richtig zugehörig gefühlt. Das hat sich früher eher negativ angefühlt. In der Pubertät und Selbstfindungsphase treibt einen das dann leider manchmal auch in etwas selbstzerstörerische Phasen. Heute bin ich zwar auch anders, aber ich feiere es meistens.
Es ist anstrengend, „ich" zu sein, weil ich auch so unruhig bin, viele Interessen habe und immer neue Herausforderungen brauche. Gerade wenn man älter wird und im Freundeskreis alle so langsam ruhiger werden, steht mein Kopf nie still. Aber das ist es auch, was mich ausmacht. Ich bin sehr stark geworden, in vielen Dingen gelassen, mich haut so schnell nix mehr um. Ich finde mich fast überall zurecht, bin sehr vielseitig und bin durch meine Toleranz sehr sozial kompatibel. Ich bin sehr freiheits liebend und mag nicht ausgebremst werden, was im Alltag oft schwierig ist. Als Ehefrau und Mutter muss man auch Kompromisse eingehen können, aber wenn es um meine persönlichen Wünsche/Träume geht, kann ich das nicht gut.
Ich habe stets das Gefühl, etwas bewegen zu wollen und dass das Leben zu schnell voranschreitet. Ich will einfach Spuren in dieser Welt hinterlassen und nicht nur in meiner kleinen Komfortzone zu leben mit dem Gedanken „Hauptsache mir geht's gut" wie die meisten Menschen. Vielleicht habe ich auch deshalb irgendwann angefangen, Bücher zu schreiben. Dennoch brauche ich meine kleine Familie, meinen Mann und meine drei Kinder als „Homebase", die mich immer wieder erdet.
Hattest du als Kind und Heranwachsende das Gefühl, durch deine Wurzeln auf irgendeine Art anders oder fremd zu sein - wo genau warst du fremd und welche Erfahrungen haben dich geprägt
Ja, ich habe mich immer schon anders gefühlt. Immer wie ein kleiner Alien auf dieser Welt. Das zieht sich auch durch alle Bereiche. Irgendwie habe ich in fast allen Dingen meine eigene kleine Welt. Ich bin ein großer Tierfreund und auch im Tierschutz aktiv, bin aber weder vegan noch Vegetarier. Ich bin auf meine Art gläubig, glaube aber nicht an die Kirche. Ich bin selbst leidenschaftliche Mutter, habe mich aber in so typischen Müttergruppen (wie beispielsweise Krabbelgruppe) nie wirklich wohl gefühlt. Ich mag keine Extreme, mein Weg liegt immer so ein bisschen zwischen den Zeilen.
Kannst du uns eine Geschichte erzählen, die zeigt, wie sehr die Kulturen/Wertesysteme in denen du aufgewachsen bist aufeinander geprallt sind - etwas erheiterndes - skurriles - ernstes - nachdenkliches - trauriges
Die Alkoholsucht meines Vaters, bedingt durch sein Trauma, hat sehr viel Negatives mit sich gebracht. Auch ich bin traumatisiert und habe Jahre gebraucht, um das aufzuarbeiten. Es gab Zeiten, in denen ich es sehr schwer hatte mit mir. Traumata bleiben aber man lernt mit ihnen zu leben. Ich verstehe mich heute, weiß, woher meine Macken kommen und kann mir selbst besser verzeihen. Abstellen kann ich aber viele Macken dadurch nicht. Die bleiben für immer. Man findet seine ganz eigenen Wege, um sie in den Alltag zu integrieren. Ich bin dadurch auch ein Mensch mit vielen kleinen Geheimnissen geworden, die ich nur mit mir selbst habe, die für mich so was wie ein Leitfaden sind, an dem ich mich festhalten kann und gut durchs Leben komme. Das ist meine Art von Selbstfürsorge. Gleichzeitig haben mich diese Traumata aber auch zu einem sehr empathischen Menschen gemacht, was ich in der Regel als sehr positiv empfinde. In meinen Jobs bekomme ich oft zu hören, dass ich ein Sonnenschein bin, dass ich so eine positive Ausstrahlung habe und so eine herzliche Art. Dass man gerne zu mir kommt. Ich finde das sehr schön, aber ich glaube, das wäre nicht so, wenn ich nicht diesen Weg gegangen wäre.
Wo ist deine Heimat - wo fühlst du dich zu Hause - wie viele „Heimaten" hast du
Heimat ist für mich nicht Landgebunden, sondern eher ortsgebunden. Münster ist Heimat, Rotterdam aber irgendwie auch. Zu Hause fühle ich mich bei meiner Familie, meinem Mann und meinen Kindern, meinen Hunden. Da, wo sie sind, ist zu Hause.
Wo ist deine Heimat - wo fühlst du dich zu Hause - wie viele „Heimaten" hast du
Heimat ist für mich nicht Landgebunden, sondern eher ortsgebunden. Münster ist Heimat, Rotterdam aber irgendwie auch. Zu Hause fühle ich mich bei meiner Familie, meinem Mann und meinen Kindern, meinen Hunden. Da, wo sie sind, ist zu Hause.
Kennst du das Gefühl von Heimweh? Wonach genau sehnst du dich dann
Wenn ich heute Heimweh habe, dann nach dem Haus meiner Großeltern in Rotterdam, das leider 2001 verkauft wurde. Ich vermisse es sehr und wenn ich mal im Lotto gewinnen sollte, dann kaufe ich es zurück. Immer wenn ich in Holland in der Nähe von Rotterdam bin, muss ich an diesem Haus vorbei fahren und es mir ansehen. Und immer wird mir dabei schwer ums Herz, weil es nicht mehr „meins" ist. An zweiter Stelle vermisse ich das Haus meiner Tante in Zundert. Das wurde vor drei Jahren verkauft und war mein letztes „Holland zu Hause", das ich hatte. Nun habe ich keinen festen Platz mehr in Holland, zu dem ich fahren kann und das vermisse ich sehr. Ich habe einfach Heimweh nach einem Holland zu Hause.
Was inspiriert dich - gibt es einen Leitsatz/Zitat - beispielsweise deiner Eltern/Großeltern der dich geprägt hat, dich durchs Leben begleitet, dich trägt/tröstet
Da gibt es zwei, die aber nichts mit meiner Familie zu tun haben. Der erste war immer „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum", bis ich vor einigen Jahren das Zitat von Carrie Fisher gelesen habe „Take your broken Heart and make it into Art" Seitdem mache ich diesen Spruch zu meinem Lebensmotto.
Abschließend - was lässt dich in deinem Leben wurzeln - was schenkt dir Flügel
Wurzeln lassen mich in erster Linie meine Kinder. Sie sind ohne Zweifel das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist. Meine Kinder geben mir das Gefühl, im Leben irgendwo angekommen zu sein, geben dem Ganzen erst wirklich Sinn. Aber auch mein Mann, denn so unterschiedlich wir auch sind, hat er mir in meinem Leben Beständigkeit gegeben. Und vor allem hat er mich in fast 21 Jahren nie aufgegeben. Ich bin ein bisschen Stolz darauf, einen Mann gefunden zu haben, der das Gegenteil von meinem Vater ist. Ich wollte immer Kinder, aber nie heiraten! Jetzt sind wir schon 16 Jahre verheiratet und bereut habe ich es noch nicht. Flügel kann mir nur meine Phantasie geben. Die ist grenzenlos!
Heute ist heute,
aber morgen ist ein
unbegreiflicher Tag
(holländisches Sprichwort)