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  • Dieses Gefühl im Herzen, dass ich eine andere Kultur in mir stecken habe...

    Interview mit Julika über ihre deutsch-peruanisch chinesischen Wurzeln & Flügel

 

Wer bist du - was sind deine Wurzeln: Welche Kulturen & Nationalitäten sind in dir vereint und haben dich von Kindesbeinen an begleitet und geprägt

Mein Name ist Julika, ich bin die Tochter einer deutschen Mutter aus Oberfranken - ich finde, selbst in Deutschland sind die kulturellen Unterschiede riesig - und eines deutsch peruanischen Vaters. Die Familie meines Vaters ist von vielen Kulturen geprägt, kulturelle Diversität ist eigentlich ganz normal. Und so bin ich mit vielen kulturellen Einflüssen aufgewachsen, für mich ein ganz normaler Zustand.

Mein deutscher Opa stammt aus einer wohlhabenden Banker-Familie aus Düsseldorf und ist kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach Peru geflohen, um dem Nazi System den Rücken zu kehren. Er selbst war zu der Zeit vor seiner Flucht HJ Führer in Düsseldorf. In Peru versteckte er sich im Urwald, um nicht nach Deutschland ausgeliefert zu werden. Hier lernte er meine Oma kennen, Tochter eines Chinesen und einer Peruanerin. Meine Oma hatte acht Geschwister und alle hatten viele Kinder. Alle waren sie Verwalter großer landwirtschaftlicher Betriebe für Kakao, Bananen oder Rinder oder betrieben Import & Export Geschäfte.

Mein Opa kehrte nie nach Deutschland zurück, er war ein hoch angesehener Bürger in der Gemeinde, in der er lebte und blieb immer der „Gringo". Mein Vater und seine zwei Geschwister wurden sehr streng und mit allen deutschen Werten erzogen. Mein Opa starb früh und meine Oma lebte noch lange im Kreis ihrer großen Familie in Peru. Ihre Kinder aber schickten sie alle nach der Schule nach Deutschland, damit sie eine gute anerkannte und fundierte Ausbildung bekommen.

Und so lernte mein Vater meine Mutter während seines Studiums in Coburg kennen. Er war in den 60er-Jahren ein südländischer Exot an der kleinen Hochschule. Während eines Praktikums bei den städtischen Werken war der Vater meiner Mutter sein Betreuer. Bei dem alljährlich stattfindenden Schützenfest sagte mein Opa zu meiner Mutter: „Stell Dir vor, wir haben im Moment eine Gruppe Indianer als Praktikanten, die musst Du Dir heute auf dem Schützenfest einmal anschauen": So nahm das Schicksal seinen Lauf.

Einerseits bin ich geprägt von meinen deutschen Wurzeln und den deutschen Werten, die auch meinen Vater stark prägen, anderseits habe ich meine Kindheit in Brasilien verbracht.
Brasilien war für mich mein Zuhause, hier war mein Lebensmittelpunkt und ich habe mich sehr schnell als „Einheimische" gefühlt. Ich besuchte eine brasilianische Schule und hatte brasilianische Freunde, schaute brasilianische Kindersendungen und hörte brasilianische Musik. Für mich war in dieser Zeit die deutsche Kultur wie auch die deutsche Sprache weniger angesagt, schließlich wollte ich dazu gehören. Und dennoch war ich immer ein kleines bisschen anders als die anderen und immer war ich nicht zu hundert Prozent Teil der Community.

Und so lernte mein Vater meine Mutter während seines Studiums in Coburg kennen. Er war in den 60er-Jahren ein südländischer Exot an der kleinen Hochschule. Während eines Praktikums bei den städtischen Werken war der Vater meiner Mutter sein Betreuer. Bei dem alljährlich stattfindenden Schützenfest sagte mein Opa zu meiner Mutter: „Stell Dir vor, wir haben im Moment eine Gruppe Indianer als Praktikanten, die musst Du Dir heute auf dem Schützenfest einmal anschauen': So nahm das Schicksal seinen Lauf.

Einerseits bin ich geprägt von meinen deutschen Wurzeln und den deutschen Werten, die auch meinen Vater stark prägen, anderseits habe ich meine Kindheit in Brasilien verbracht.
Brasilien war für mich mein Zuhause, hier war mein Lebensmittelpunkt und ich habe mich sehr schnell als „Einheimische" gefühlt. Ich besuchte eine brasilianische Schule und hatte brasilianische Freunde, schaute brasilianische Kindersendungen und hörte brasilianische Musik. Für mich war in dieser Zeit die deutsche Kultur wie auch die deutsche Sprache weniger angesagt, schließlich wollte ich dazu gehören. Und dennoch war ich immer ein kleines bisschen anders als die anderen und immer war ich nicht zu hundert Prozent Teil der Community.

 

Wie war es für dich, mit mehreren kulturellen Einflüssen und Werten aufzuwachsen

In meiner Familie gingen die kulturellen Einflüsse Hand in Hand. Die Rollenverteilung jedoch war eine klassische patriarchische: Der Mann geht arbeiten und die Frau ist der häusliche Versorger.

 

Was waren und sind die größten kulturellen Einflüsse in deinem Leben

Eine liebevolle, behütete Kindheit, die Geborgenheit in einer intakten kleinen Familie, das hat mich geprägt. Und das gibt mir eine Offenheit auf Menschen zuzugehen, im ersten Kennenlernen freundlich, höflich und unvoreingenommen zu sein.

Sicherlich empfinde ich südländische Kulturen offener, warmherziger als die nordische/europäische Deutsche Kultur. Aber ich kann ehrlich nicht sagen, ob ich bin wie ich bin, aufgrund der liebevollen intakten Kindheit oder ob die südländischen Gene mich prägen. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem.

 

Worin besteht der größte Unterschied der Kulturen - Wertesystemen, in denen du aufgewachsen bist

lnnerfamiliär gab es so große Unterschiede nicht, da mein Vater ja eine deutsche Erziehung genossen hat, obwohl er immer eine typische Männerrolle innehatte. Aber die Zeit in Südamerika war schon sehr anders als das Leben in Deutschland.

Den größten Unterschied habe ich in der Pubertät erlebt. Als ich zwölf Jahre alt war, sind wir wieder nach Deutschland gezogen. Als junges Mädchen und „Pubertier" lebte ich in Stuttgart und durfte in den BOer-Jahren richtig unangepasst sein. Ich hörte die Toten Hosen, die Ärzte und war in der New Wave Szene.Ich rasierte meine Haare als Undercut und trug zerrissene Hosen zu einer Zeit, als man dafür von Erwachsenen noch regelmäßig gemaßregelt wurde und als ich sechzehn Jahre alt war, wurde mein Vater nach Paraguay versetzt. Wir lebten in Asuncion während der Diktatur von Strössner. Ich wurde gezwungen, eine Uniform mit blauem Faltenrock und weißer Bluse zu tragen. Ich durfte mich nicht mehr frei bewegen, durfte nur mit Begleitung eines Erwachsenen in die Stadt und sollte von nun an ein braves Mädchen sein, wie es in der Oberschicht der paraguayischen Mädchen Sitte war. Sie trafen sich in Clubs und machten Tanzkurse.

Es gab viele Konflikte, denn man erwartete von mir, dass ich mich regelkonform benahm. In Südamerika konnte mein Vater seine südamerikanische Seite viel stärker ausleben.
Meine Mutter passte sich den Gegebenheiten an. Ich durfte nach einem Jahr voller Streit zurück nach Deutschland und besuchte bis zum Abitur ein Internat.

 

Hattest du als Kind und Heranwachsende das Gefühl, durch deine Wurzeln auf irgendeine Art anders oder fremd zu sein - wo genau warst du fremd und welche Erfahrungen haben dich geprägt

Durch die vielen Umzüge, ich habe alleine zehnmal die Schule gewechselt. Ich kann eigentlich sagen, dass ich entwurzelt aufgewachsen bin. Ich war bis auf die Zeit in der Pubertät in Asuncion wie ein Chamäleon, daß sich immer wieder an die neuen Gegebenheiten angepasst hat, immer auf der Suche nach Integration.

 

Welchen Nutzen/ Gewinn ziehst du aus deiner kulturellen Vielfalt, worin siehst du die Stärken

Die Fähigkeit, sich auf neue Situationen einzulassen und sich innerhalb kürzester Zeit anzupassen und zurechtzufinden.
Immer lösungsorientiert, immer positiv (meistens), immer das Gute suchend.

 

Kannst du uns eine Geschichte erzählen, die zeigt, wie sehr die Kulturen/Wertesysteme in denen du aufgewachsen bist aufeinander geprallt sind - etwas erheiterndes - skurriles - ernstes - nachdenkliches - trauriges

Ja, Weihnachten! Der 24.Dezember war mit all seinen deutschen Bräuchen meinem Vater immer sehr wichtig. Und das feierten wir - egal wo wir auf der Weltgerade lebten. Das bedeutete, dass wir bei sommerlichen Temperaturen von über 40 Grad alle Fenster schlossen und einfach die Klimaanlage hochtrieben. So standen wir Kinder feierlich gekleidet vor dem geschmückten Baum und sangen Weihnachtslieder. Zu Abendessen gab es eine festliche Tafel, oft mit Fondue oder typisch deutschen Braten mit Klößen.

Und dann, wenn wir es als Kinder nicht mehr aushielten, dann warfen wir alle Kleider von uns,machten die Türen auf und sprangen noch spät abends quietschvergnügt in den Pool!

 

Was bedeutet Heimat für dich - womit verknüpfst / verbindest du Heimat

Heimat sind für mich oft ganz kleine Dinge. Manchmal ein Duft oder eine Landschaft, ein Geschmack oder eine Art, sich zu benehmen. Heimat ist für mich ein Gefühl.

 

Wo ist deine Heimat - wo fühlst du dich zu Hause - wie viele „Heimaten" hast du

Heimat hat für mich viele Orte. Ich lebe nun schon seit über 30 Jahren in meiner Geburtsstadt Coburg. Hier ist die Landschaft von seichten Hügeln geprägt. Wenn ich hier mit meiner Hündin täglich spazieren gehe, genieße ich diese Landschaft und fühle mich zu Hause!

Aber ich war vor wenigen Wochen seit Langem einmal wieder in Spanien. Und der Gang in den Supermarkt, der Dreck auf der Straße und das Temperament der Menschen umhüllen mich und schenken mir Geborgenheit. Ja, Spanien ist die Wiege Südamerikas und dieses Lebensgefühl gibt mir Stärke, auch das war in diesem Moment Heimat.

 

Kennst du das Gefühl von Heimweh? Wonach genau sehnst du dich dann

Meist habe erst ich Fernweh und will in die Welt hinaus und hier ganz besonders zieht es mich ans Meer, das können Brasiliens Strände genauso wie die Nordsee sein. Es muss wild sein, laut sein und der Duft von Meer muss mich einnehmen. Tosende Wellen... vielleicht weil ich als Sternzeichen ein Krebs bin?

Am Meer fühle ich mich sehr verwurzelt und geerdet. Heimweh ist dann eng mit meinem Zuhause, meinen eigenen vier Wänden verknüpft. Und da ich glaube, überall glücklich leben zu können, ganz ortsunabhängig, bin ich ein Stück weit heimatlos.

 

Abschließend - was lässt dich in deinem Leben wurzeln - was schenkt dir Flügel

In beiden Fällen die Natur in all ihren Facetten. Die Elemente Wasser und Erde.

Und die Liebe zu meinem Sohn. Ein Kind aufwachsen zu sehen, dich in ihm zu sehen, Eigenschaften, die dir so ähneln und Dinge, die dir fremd sind. Dass es in der Aufzucht von Kindern und anderen Baby-Lebewesen nie zu viel Liebe gibt.

Und dass das Leben nie so verläuft wie man es erwartet oder plant. Es kommt meistens anders, das Leben ist stete Veränderung.

Im Loslassen
liegen die Flügel
der Freiheit

(brasilianisches Sprichwort)